Auf Du und Du

Erwachsene duzen die Freunde ihrer Kinder, das war schon immer so. Aber wenn aus den Kindern Erwachsene werden – muss aus dem »Du« ein »Sie« werden? Und wenn ja, wann – und warum?

»Viele Eltern duzen erwachsene Freunde ihrer erwachsenen Kinder weiter. Andere bieten den früheren Kindern das Du an, und der Rest verlegt die ganze Beziehung ins Sie. Gibt es - jenseits von: »Wer mich als Erwachsenen duzt, bekommt ein Du zurück« - eine Daumenregel, wie, wann und von wem ein Übergang von einer Anrede zur anderen gerechtfertigt ist?« Gerd F., Ulm

Ja, es gibt eine Daumenregel, die sich von ein paar Grundregeln ableitet. Die erste Grundregel lautet: Man siezt sich im Deutschen, wenn nicht besondere Umstände vorliegen. Solche besonderen Umstände wären etwa Verwandtschaft, Verabredung des »Du«, Trunkenheit, Aufenthalt auf hohen Bergen, gemeinsame Mitgliedschaft in einer sozialistischen Vereinigung, Einkaufen in einem schwedischen Möbelhaus oder beiderseitiges Jugendgefühl.

Die zweite Grundregel lautet, dass einseitiges Duzen ein Statusgefälle ausdrückt, weshalb es in einer modernen Gesellschaft, wenn nicht wiederum besondere Umstände vorliegen, nichts zu suchen hat. Und als akzeptabler besonderer Umstand fällt mir spontan nur die Üblichkeit ein, es zwischen Kindern ab dem Schulalter und nicht verwandten Erwachsenen so zu halten.

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Weil das Ausdrücken eines Statusgefälles tendenziell herabwürdigend ist, müssen Ausnahmen, hier also die besonderen Umstände, die das einseitige Duzen erlauben, restriktiv ausgelegt werden. Die Daumenregel lautet deshalb: Es muss enden, sobald das Kind kein Kind mehr ist. Das kann man an einem bestimmten Alter festmachen, oft werden 16 Jahre genannt, oder, vornehmlich, an der Persönlichkeit des Heranwachsenden.

Ab dann ist das einseitige Duzen unhöflich. Nur, wie sollte man sich dazu verhalten, wenn Erwachsene damit weitermachen? Am besten so, wie man sich allgemein verhält, wenn sich jemand unhöflich benimmt: Man denkt sich seinen Teil. In erster Linie: Ich würde das nicht machen. Und in zweiter Linie: Das sind Menschen, die sich nicht genügend Gedanken um ihr Gegenüber machen, oder schlicht unhöfliche Tröpfe. Deshalb würde ich hier wie bei jedem unberechtigten Duzen so verfahren: Es geschehen lassen, selbst richtigerweise beim Sie bleiben und mir meinen Teil denken.

Literaturtipps

Heinz Leonhard Kretzenbacher, Wulf Segebrecht, Vom Sie zum Du – mehr als eine Konvention? Luchterhand Literaturverlag, Hamburg 1991

Heinz Leonhard Kretzenbacher beschreibt darin in seinem Essay Vom Sie zum Du – und retour? unter anderem auf S. 52ff. das „diskriminierende Du“

Werner Besch, Duzen, Siezen,Titulieren. Zur Anrede im Deutschen heute und gestern, Verlag Vandehoeck & Ruprecht, Göttingen, 2. Auflage 1998

Illustration: Serge Bloch