Fast wäre ich versucht, zu sagen: Was soll’s. Das sind Randunschärfen, die man dem Leben schuldet. Schließlich lebt man nicht am grünen Tisch oder im Mathematikheft, sondern in der Realität mit ihren Unwägbarkeiten. Und die Moral nährt sich nicht in erster Linie vom Abzählen von Geldbeträgen. Im Gegenteil, darüber vergisst man schnell, worum es eigentlich geht, und gibt sich dem trügerischen Gefühl hin, wenn man alles auf den Cent genau rechnete, sei es automatisch auch moralisch richtig.
Wäre da nur nicht das Malheur mit den verwechselten Kinos – das hinterlässt einen seltsamen Nachgeschmack. Und der scheint mir vor allem daran zu liegen, dass schon Ihr Ansatz sich eines mir äußerst suspekten Mittels bedient: der »Geheimaufrechnung«. Im Grunde ist die Aufrechnung eine feine Sache: Ich schulde dir etwas, du schuldest mir genauso viel, einer erklärt die Aufrechnung, und beide Schulden sind verschwunden. Juristisch handelt es sich um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, sprachphilosophisch um einen deklarativen Sprechakt. Beiden Betrachtungsweisen ist gemein, dass das Gewollte ausgesprochen werden und beim Gegen-über ankommen muss. Das haben Sie unterlassen, und so entstand dabei ein Fehler: Die Erklärungspflicht dient auch dazu, dem anderen die Möglichkeit zu geben, das Ansinnen zurückzuweisen oder Irrtümer aufzuklären. Fürchteten Sie, der Kinobetreiber könnte widersprechen? Das darf er, und dieses Recht nimmt man ihm, wenn man es mit sich im Geheimen abmacht. Bezogen auf das Ergebnis geht es wohl wirklich nur um eine Randunschärfe, zumal der Mann an der Kasse bei Offenlegung vermutlich genickt und den Schüler durchgewinkt hätte. Vermutlich. Genau das ist das Problem der Geheimaufrechnung.
(Haben Sie auch eine Gewissensfrage? Dann schreiben Sie an Dr. Dr. Rainer Erlinger, SZ-Magazin, Rindermarkt 5, 80331 München oder an gewissensfrage@sz-magazin.de.)
Illustration: Jens Bonnke