»Eine Freundin lebt mit ihrem Mann ein sehr klassisches Modell. Er geht arbeiten, sie bleibt zu Hause bei den Kindern. Ich lebe anders, aber unsere Freundschaft beeinträchtigt das nicht. Neulich bat sie mich, mit den Kindern auszuhelfen, ihr Mann müsse arbeiten. Dafür hätte ich freinehmen müssen. Ich habe Nein gesagt, weil ich ihr Modell nicht mit stützen möchte. Bin ich eine schlechte Freundin?« Silke M., Darmstadt
Ihre Frage impliziert, dass Sie selbst das befürchten und nun darauf hoffen, dass Ihnen jemand Ihr schlechtes Gewissen nimmt. Ganz ehrlich, es ist vollkommen verständlich, dass Sie sich nicht extra einen freien Tag nehmen wollen, bloß weil Ihre Freundin und deren Mann die Kinderbetreuung nicht geregelt bekommen. Offenbar sind Sie angestellt, haben also nur soundso viele Urlaubstage im Jahr. Ihre Freundin wird bestimmt eine andere Lösung finden, sie hat Sie einfach mal gefragt, wäre praktisch gewesen, wenn Sie Ja gesagt hätten, aber Sie haben Nein gesagt, und das ist Ihr gutes Recht. Vermutlich hat Ihre Freundin nicht einmal ernsthaft mit einem Ja gerechnet, denn es klingt nicht, als sei es zwischen Ihnen gang und gäbe, dass Sie mal einspringen mit deren Kindern. Aber.
Ich verstehe nicht ganz, was irgendein wie auch immer geartetes Lebensmodell in dieser Sache mit irgendetwas zu tun hat. Haben Sie Nein gesagt, um Ihre Freundin zu erziehen? War Ihr Nein eine Art feministisches Manifest, Ihre Antwort auf eine praktische Frage politisch? Hätten Sie also Ja gesagt, wäre Ihre Freundin voll berufstätig, oder es wäre der Mann, der in dieser Ehe bei den Kindern bleibt?
Meine Vermutung: Sie möchten sich nicht extra einen Tag dafür freinehmen, die Kinder Ihrer Freundin zu hüten, fühlen sich aber schlecht dafür und schieben deshalb die Sache mit dem Lebensmodell vor. Brauchen Sie doch überhaupt nicht. Auf die Frage Ihrer Freundin gab es zwei mögliche Antworten, beide vollkommen okay. Für ein Ja hätte vielleicht gesprochen, dass Sie dann jetzt kein schlechtes Gewissen hätten, sondern sich vermutlich mehrmals am Tag selbst dafür auf die Schulter klopfen würden, was für eine verdammt nette Freundin Sie sind. Was ja auch kein schlechtes Gefühl ist. Am Ende womöglich einen Urlaubstag wert.
Freundschaftsdienst mit Bauchschmerzen
Eine Leserin fragt, ob sie einer Bekannten aus der Patsche helfen soll, deren Ansichten über ihr traditionelles Familienbild sie nicht teilt. Johanna Adorján vermutet hinter der Frage ein anderes Motiv.