Name: Lorraine Hellwig
Geboren: 24.01.1993 in München
Website: lorrainehellwig.com
Ausbildung: Fotodesign-Studium an der Hochschule München
SZ-Magazin: In der Fotoreihe »nothing to lose« porträtieren Sie vier Männer, die in der Schweiz im Wald leben. Wie haben Sie die Vier entdeckt?
Lorraine Hellwig: Ironischerweise online. Sie haben eine Facebook-Gruppe in die sie ab und zu posten, was sie machen. Für ein Auslandssemester an der Kunstschule ECAL war ich in Lausanne in der Schweiz. Ich bin einfach hingefahren und habe fast zwei Tage im Wald nach ihnen gesucht.
Wie haben die Männer anfangs auf Sie reagiert?
Sie sind gewohnt, dass sie Besuch bekommen. Am Anfang waren sie trotzdem ein bisschen skeptisch – aber das hat sich schnell gelegt. Ich glaube, dass sie gemerkt haben, dass ich Interesse an ihrer Geschichte habe. Nach und nach haben wir uns angenähert. Ich habe auch von mir erzählt und bin öfters zu Besuch gekommen. Langsam hat sich eine Art Freundschaft entwickelt.
Was sind das für Charaktere?
Albus*, der älteste von ihnen, ist etwa 40 Jahre alt. Er hatte einen normalen »9 to 5«-Job, machte seine Erledigungen am Samstag und hatte nur sonntags Zeit, mal »nur zu sein«. Damit war er unglücklich. Nach und nach hat er seine Wohnung und sein altes Leben in der Stadt aufgegeben, sich ein Zelt gekauft und ist in den Wald gezogen. Dort ist er dann auf Bilbo* gestoßen. Mit Anfang zwanzig ist der immer bei irgendwelchen Jobs an seine Grenzen gestoßen. Mit der Arroganz, der Kritik und dem Druck der Arbeitswelt ist er nicht zurechtgekommen. Unabhängig voneinander sind sie in die Natur geflüchtet und haben sich dann dort zusammengeschlossen. Die anderen beiden haben sich dann nach einiger Zeit ihnen angeschlossen. Alexander* kommt aus einem guten Elternhaus. Sein Vater ist Anwalt und hat immer wieder versucht, seinen Sohn beruflich zu bevormunden. Ein Jurastudium wollte Alexander aber nicht, er bekam Drogenprobleme. Den Kontakt zu seiner Familie hat er mittlerweile abgebrochen. Eigentlich will er nach Kanada – aber ihm fehlen die finanziellen Mittel. Der Vierte im Bunde ist Strolch*. Er ist Musiker und hat seine Instrumente mit in den Wald genommen.
Wie finanzieren sich die Waldbewohner?
Strolch verdient als Straßenmusiker ein wenig Geld, Albus verkauft selbstgeschnitzte Schalen aus Holz. Die anderen gehen in die Stadt zum Betteln, wenn es nötig ist. Aber die Jungs brauchen nicht viel. Etwas zum Essen, ein gutes Gespräch, ein Feuer, das wärmt und Freunde, die mit um das Feuer sitzen. Diese Freunde kommen auch regelmäßig zu Besuch und bringen Essen oder Kaffee mit. Wasser holen sie von einem Brunnen im Wald. Sonst haben sie nur ihre Schlafsäcke, Zelte und eine ganze Menge Bücher auf ihrer Lichtung.
Könnten Sie sich ein Leben als Outlaw vorstellen?
Man darf das Leben als Aussteiger nicht romantisieren. Es ist hart und von Routine geprägt. Das könnte ich nicht. Zwar würde ich oft gerne mein Handy und vielen technischen Krempel in die Isar werfen, aber als Fotografin bin ich natürlich darauf angewiesen. Das Gute an meinem Job ist die Abwechslung zwischen unterwegs sein und wieder nach Hause ankommen. Die Bekanntschaft zu dem Jungs ist für mich ein Perspektivenwechsel gewesen, der mir gezeigt hat, dass nicht nur eine bestimmte Lebensweise glücklich machen muss.
Rebellieren die Vier gegen das »normale« Leben in der Stadt?
Sie stellen sich nicht wirklich gegen etwas oder jemanden. In den Wald sind sie gezogen, weil es sie glücklich macht. Zudem hinterfragen sie das System und diskutieren viel, was man ändern könnte. Ihnen sind Paradoxien im städtischen Alltag wohl viel mehr bewusst als uns. Wahrscheinlich, weil sie mehr Abstand haben. Wenn man ihnen ohne Vorurteile begegnet und zuhört, dann kann man meiner Meinung nach viel von den Waldbewohnern lernen. An sich würde ich schon gerne mal Merkel oder Trump vorbeischicken.
*Namen von der Redaktion geändert.
Fotos: Lorraine Hellwig