Das Ausfallhonorar

Vin Diesel wurde zum heißesten Mann des Jahres gewählt – in der Unterkategorie »ohne Haare«. Die Auszeichnung zeigt: Eine Glatze ist nicht das Ende der Welt, sondern womöglich der Anfang einer neuen, erotischeren Identität. 

Konnte sich gegen die muskelbepackte Konkurrenz durchsetzen: Vin Diesel. Er überzeugte in Kategorie wie »Goldener Schnitt des Gesichts« und »Glanzfaktor«.

Foto: afp / Patrick T. Fallon

Eine hanebüchene Nachricht aus dieser an hanebüchenen Nachrichten nicht armen Zeit: »Prinz William vom Thron gestoßen!«, titelte die New York Post vergangene Woche. So viel offensichtlicher Unsinn sorgt natürlich für Aufmerksamkeit. Bekanntlich ist ja eben erst sein Vater Charles III. auf denselben geklettert. Es ging dabei aber um eine ganz andere, sagen wir haarsträubende Regentschaft: Prinz William hatte es 2021 an die Spitze des Rankings »Hottest bald man« des Jahres geschafft, übersetzt so was wie »heißester Glatzkopf«.

Wer mit diesem Titel bislang nicht vertraut war: Das Jedermann-Rennen zum »Sexiest man alive« wird jeden November vom People Magazin vergeben (Gewinner 2021: Schauspieler Paul Rudd), der  sexiest bald man alive hingegen wurde von einer Firma gekürt, einem, Achtung, Anbieter für Haartransplantationen. Ein Interessenskonflikt? Satire? Haarakiri? In den sozialen Netzwerken regte sich Unmut, weil Kennern des Genres die Methodik der Wahl nicht glaubwürdig erschien. Ermittelt wurde 2021 nämlich per Google-Suche, bei der »william+sexy« angeblich die meisten Einträge ausspuckte, gefolgt etwa von Mike Tyson auf Platz 2, Bruce Willis auf Rang 8 und Vin Diesel auf 10.

Bei der Wahl zum »Hottest bald man« 2022 wurden diesmal nun so knallharte Faktoren wie »Marktwert«, »Häufigkeit der Verwendung des jeweiligen Promi-Emojis auf Twitter«, »Goldener Schnitt des Gesichts« und »Shine Factor« angeführt, also wie blank poliert die Glatze wirkt und mit welcher Wattzahl die »Glühbirne« so in etwa vergleichbar wäre. Und siehe da: Auf Platz 1 landet nun der »Fast and Furious«-Schauspieler Vin Diesel, während Prinz William auf Rang 5 rutschte (vielleicht wurde er für noch zu viele Haare abgestraft?). Außerdem unter den Top Ten: der Schauspieler Dwayne »The Rock« Johnson, der Boxer Floyd Mayweather Jr., der Sänger Pitbull und der Regisseur Stanley Tucci.

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Vom Haar-Thron gestoßen: Prinz William. 

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Und egal wie treffend man die Rangliste findet, sie ist doch ein schöner Trost für alle Männer mit Haarausfall: Eine Glatze ist nicht das Ende der Welt, sondern womöglich der Anfang einer neuen, erotischeren Identität. Diverse Studien besagen, dass Männer ohne Haupthaare sogar bessere Flirtchancen hätten, weil sie mehr Selbstbewusstsein ausstrahlten, dominanter seien und in Verhandlungen besser abschnitten. Jeff Bezos dürfte unbedingt zustimmen. (Oder hat er die Studie womöglich selbst in Auftrag gegeben?)

Tatsächlich würde das erklären, warum unter erfolgreichen Action-Helden überproportional viele Glatzköpfe vertreten sind. Vin Diesel, The Rock, Bruce Willis, Samuel L. Jackson – ein blanker Schädel scheint hier tatsächlich ein Vorteil zu sein. Weil die Entscheidung, nicht länger den Geheimratsecken beim Größerwerden zuzuschauen, sondern die Flucht nach vorne anzutreten, Entschlossenheit und radikales Denken à la »ganz oder gar nicht« vermittelt? Weil ein blanker Kopf besser zu den gern blank zur Schau gestellten Muskelpaketen passt, der Mann also wie aus einem Guss daherkommt? Oder keine Frisur so aerodynamisch und schnittig aussieht? Das würde zumindest auch auf Sportler wie den Surfer Kelly Slater, Michael Jordan oder Andre Agassi zutreffen.

Aber bevor jetzt alle den Rasierer ohne Aufsatz ansetzen: Die Kausalkette sollte man hier vielleicht nicht überbewerten, es gibt ja auch jede Menge anderer Beispiele kahler Männer mit vielleicht nicht ganz so ausgeprägten Flirtchancen. Telly Savalas alias Kojak, Bond-Gegenspieler Blofeld, Gerd Fröbe, Homer Simpson, Meister Proper. Und selbst wenn eine hohe Stirn ja angeblich für hohe Intelligenz steht – siehe Pep Guardiola oder Michel Foucault –, bliebe die große Frage, was zuerst da war: Huhn oder Ei, also die Anlage zum Haarausfall oder die besonders leistungsfähige Hirnmasse?

Praktisch ist die Frisur in jedem Fall: kein Waschen, kein Föhnen, kein Gel, keine Läuse, die einem die Kleinkinder aus der Kita einhandeln. Nur kalt werden kann es so ohne Deckhaar auf dem Kopf, vor allem in diesem erwartet harten Winter ohne Heizung. Besser also, man hört als Kahlkopf jetzt mal Wolfgang Schäuble zu: Der empfahl neulich, nicht zu jammern und stattdessen zwei Pullover zu tragen. Warum nicht auch zwei Wollmützen?

Wird auch getragen von: Mehmet Scholl, Michael Stipes, Travis Barker
Typischer Instagramkommentar: »Zieht’s?«
Passender Film: »Ganz oder gar nicht«