»Ich weiß, dass man Trauer besser verarbeiten kann, wenn man sie zulässt«

Auf den Urnen von Julia Menden sind Fische oder Nietenhalsbänder zu finden – sie gestaltet die Gefäße ganz nach den Wünschen der Verstorbenen oder ihrer Angehöriger. Durch die Coronakrise steht ihre Werkstatt jedoch still: Viele Menschen lassen die Asche der Toten gerade einlagern.

Illustration: Lina Müller

SZ-Magazin: Die erste Urne, die Sie gestaltet haben, war für Ihren Vater. Wie kamen Sie als gelernte Mediengestalterin dazu?Julia Menden (40): Mein Vater ist 2014 an Darmkrebs gestorben. Damals hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben die Aufgabe, eine Urne zu besorgen. Aber die, die es beim Bestatter gab, haben mir nicht gefallen: Sie waren alle schwarz oder grau, mit betenden Händen und komischen Engelchen drauf. Das hat überhaupt nicht zu meinem Vater gepasst, der ein lebenslustiger, sonnenverwöhnter Lebemann war. Ich bin schier verzweifelt und habe schließlich meinen Bruder gefragt, ob es für ihn okay wäre, wenn ich selbst eine Urne gestalte. Daraufhin habe ich meine erste Rohurne gekauft.

Und dann?
Stand die erstmal drei oder vier Monate rum und ich habe sie angeschaut. Ich wusste lange nicht, was genau ich draufmalen will. Ich wusste nur, dass ich es selbst machen möchte.

Wann haben Sie angefangen, zu malen?
Erst ganz zum Schluss, da war mein Vater schon im Hospiz – zwei Tage, nachdem ich angefangen habe, ist er gestorben.

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Und für welches Motiv haben Sie sich entschieden?
Mein Vater war halb Italiener und das Meer sein zweites Wohnzimmer. Wir waren als Kinder mit der Familie oft in Italien, am Golf von Baratti in der Toskana. An diesem Ort habe ich mich orientiert und die Landschaft vorgezeichnet, eine Bucht, Palmen, das Meer. Und am Strand meinen Bruder, mich und andere Familienmitglieder als Silhouetten, winkend. Erst ganz zum Schluss habe ich meinen Vater hinzugefügt, der auf einem kleinen Boot wegfährt und auch winkt. Im Hintergrund sieht man außerdem die »Wolke 7“«– das war bei uns so ein Running Gag: Alle Verstorbenen der Familie, auch Hamster und so weiter, kamen immer auf die »Wolke 7«.

Wie waren die Reaktionen ihrer Familie auf die Urne?
Ich dachte mir, dass die meisten das ganz cool finden würden, weil es mal was anderes war. Aber wie gut die Rückmeldungen waren, damit hätte ich nicht gerechnet! Dadurch entstand überhaupt erst die Idee, das beruflich zu machen. Ich fand den Gedanken schön, Menschen mit Urnen glücklich zu machen, ihnen ein schönes Fest für ihre Verstorbenen zu schenken. Weil ich weiß, dass man Trauer besser verarbeiten kann, wenn man sie zulässt und hindurchgeht.

»Im Moment dürfen ja oft nur wenige Menschen auf die Friedhöfe und nur mit Abstand, und keiner weiß, wie es weitergeht«

Haben Sie das durch den Tod Ihres Vaters gelernt?
Vor allem wurde mir bei meiner Großmutter ein guter Abschied verwehrt. Ich war damals noch ein Kind und als sie gestorben ist, wurde darüber nicht richtig gesprochen. Sie war einfach plötzlich nicht mehr da und niemand konnte mir das erklären. Das hat mich lange begleitet. Ich war später sogar in der Grufti-Szene unterwegs, weil das die einzigen Menschen waren, die sich irgendwie mit dem Tod beschäftigt haben.

Wie beeinflusst die Corona-Pandemie ihre Auftragslage?
Ich habe seit März keine Aufträge mehr, null Komma null, alles ist auf Halt. Im Moment dürfen ja oft nur wenige Menschen auf die Friedhöfe und nur mit Abstand, und keiner weiß, wie es weitergeht. Klar, jeder will sich verabschieden, aber nicht auf die Schnelle. Im Moment lassen darum sehr viele Menschen die Asche ihre Angehörigen erstmal einlagern. Bei den Bestattern wird es teilweise schon eng, weil die darauf nicht darauf ausgelegt sind.

Sie haben neben Ihrem Job im Online-Marketing Ihre Urnenwerkstatt aufgebaut. Welche war Ihre erste »Auftragsurne«?
Der Verstorbene war Angler gewesen und seine Frau hat sich einen Zander auf der Urne gewünscht, mit Angelhaken im Maul, weil er in seinem Leben nie einen gefangen hatte, da wollte sie ihn zum Abschied einen schenken. Per Whatsapp war die Kundin quasi die ganze Zeit beim Gestalten dabei und wir haben gemeinsam korrigiert. Ihre Rückmeldung war für mich sehr wichtig: Dass ich ihr nicht nur eine Freude gemacht habe, sondern sie so für ihren Mann noch ein letztes Mal etwas Besonderes anfertigen lassen konnte, ein individuelles, nur für ihn bestimmtes Kunstwerk. Das war genau das, was ich erreichen wollte.

Welche Ihrer Urnen war bisher die ungewöhnlichste?
Eine Steampunk-Urne: schwarzer Lack, beklebt mit einem Stachelhalsband, schwarzen Rüschen und Zahnrädern.

Haben Sie eigentlich Ihre eigene Urne schon gestaltet?
Nein, ich weiß auch noch nicht, wie sie aussehen soll, beim »eigenen Baby« ist sowas ja immer besonders schwierig. Aber ich will sie selbst machen, wenn es geht, das steht auch in meinem Testament. Wenn das nicht klappt, können meine Verwandten eine Urne aus meinem Shop auswählen, die wissen ja, was mir gefällt. Ich hoffe aber, dass ich noch ein bisschen Zeit habe.