Sie kennen sicher mein Faible für Großmütter, weshalb es nahe läge, jegliches Handeln Ihrerseits gutzuheißen. Noch dazu werden Sie durch das Gefühl einer starken Zuneigung zu Ihrem Enkel geleitet. Andererseits wollen auch seine Eltern nur sein Bestes und sind darüber hinaus als Erziehungsberechtigte im Besitz der ihnen von Gesetz her verliehenen Macht, in weiten Grenzen über das Wohl des Kindes zu bestimmen.
Wessen Meinung hat nun moralisch Vorrang? In dieser Situation kann man auf das von Jürgen Habermas und Karl-Otto Apel entwickelte Prinzip der »Diskursethik« zurückgreifen. Ausgehend davon, dass Gefühle oft zur moralischen Rechtfertigung herangezogen werden, will Habermas stattdessen eine rationale, also vernunftbasierte Basis schaffen – mittels Argumentation. Anders als Kant in seinem kategorischen Imperativ vertritt er die Maxime, die Grundsätze des Handelns erst dann als allgemeines Gesetz gelten lässt, wenn sie anderen zur Prüfung im Diskurs vorgelegt wurden. Durch die moralische Argumentation komme es zur einvernehmlichen Beilegung von Handlungskon-flikten; es werde damit auch nicht der Wille der Mehrheit, also der demokratischen Macht, sondern ein gemeinsamer Wille aller Beteiligten zum Ausdruck gebracht. Daraus leitet Habermas den »Diskursethischen Grundsatz« ab, »dass nur die Normen Geltung beanspruchen dürfen, die die Zustimmung aller Betroffenen als Teilnehmer eines praktischen Diskurses finden (oder finden könnten).«
In Ihrem Fall – wenn Sie Ihren Enkel bei sich haben, sind Sie Betroffene im diskursethischen Sinne – bedeutet das, dass beide Seiten sich nicht auf ihre »Ansichten« oder die Eltern auf ihr Erziehungsrecht zurückziehen können, sondern Sie durch Argumentation zu einer gemeinsam getragenen, dann für alle verbindlichen Lösung kommen müssen. Also reden Sie miteinander.
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