»Wir sind häufig bei meiner Schwägerin zu Besuch, die ich sehr mag. Jedoch ärgere ich mich immer über deren Verschwendung, etwa von Lebensmitteln, Strom oder Wasser. Ich habe schon oft ohne Erfolg darauf hingewiesen, dass dadurch ohne Not wichtige Ressourcen verbraucht werden, was nicht gerade für gute Stimmung sorgt. Muss ich die Menschen so lassen, wie sie sind?« Ulla G., Köln
»Leben und leben lassen« lautet eine schöne Devise für praktisch gelebte Toleranz. Jeder soll nach seiner Fasson selig werden. Ihre Fasson scheint zu sein, Ressourcen zu schonen, die Ihrer Schwägerin, sich damit nicht das Leben schwer zu machen. Und so könnte jede von Ihnen beiden die andere so leben lassen, wie sie will.
Allerdings ist diese alte Devise, die man schon bei Friedrich Schiller und Moses Mendelssohn findet, heute in abgewandelter Form noch viel bekannter: Leben und sterben lassen. Live and Let Die. Als Titel eines James-Bond-Films mit Roger Moore und dessen Titelsong von Linda und Paul McCartney, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Ian Fleming.
Im Grunde umreißen diese beiden Varianten genau das Problem. Einerseits ist die Frage, wie man mit Ressourcen umgeht, eine Frage, wie man sein Leben führt, und fällt damit unter das Motto »Leben und leben lassen«. Andererseits geht es dabei auch um mehr, zum Beispiel um die Erderwärmung und damit um das Überleben ganzer Länder, oder um die Verschwendung von Lebensmitteln, während andere hungern und Tiere dafür sterben mussten. Da ist »Leben und sterben lassen« einschlägiger, aber sarkastisch: Dieses Sterben darf man eben gerade nicht einfach zulassen. Sie wären also durchaus berechtigt, wenn nicht sogar verpflichtet, etwas zu sagen.
Ich glaube, wie so oft im Leben lässt sich das Problem nicht kategorisch lösen, also im Sinne von »Sagen oder nicht sagen, das ist hier die Frage«. Es geht hier vor allem darum, wie man es sagt. Nicht belehrend, sondern nett. Man kann es zum Beispiel auf sich selbst beziehen: »Ihr wisst doch, ich bin da etwas empfindlich und kann das nicht mit ansehen«. Oder die Kritik mit Humor brechen: »Die armen Eisbären, ihr schmelzt ihnen wieder mal die Scholle unter den Füßen weg.« Auch hier macht der Ton die Musik.
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Literatur:
Moses Mendelssohn, Phaedon oder über die Unsterblichkeit der Seele, Leben und Charakter des Sokrates (hier nachzulesen)
Friedrich Schiller, Wallensteins Lager, 6. Auftritt (hier nachzulesen)
Ian Fleming, Live and Let Die, Vintage Books, London, 2012 (ursprünglich Jonathan Cape, 1954) Leben und sterben lassen (Original: Live and Let Die), Regie: Guy Hamilton, 1973
Linda und Paul McCartney, Live and Let Die, aufgenommen von den Wings, 1973
Illustration: Serge Bloch