Muss man bei nervigen Spielen mitmachen?

Unsere Leserin würde sich am liebsten unterhalten, stattdessen finden bei einer Geburtstagsfeier jede Menge Spiele und Aktionen statt. Darf sie sich dem Treiben verweigern?


»Beim 70. Geburtstag einer Freundin gab es diverse Spiele und Aktionen, bei denen die Gäste gedrängt wurden, teilzunehmen und ihren Beitrag zu leisten: Videobotschaften einsprechen und dergleichen. Es war fast unmöglich, einfach am Tisch zu sitzen und sich zu unterhalten. Ich finde das schrecklich. Muss ich mich den Wünschen der Spiele-Besessenen beugen?« Helga D., Hamburg

Mit Ihrer Frage rennen Sie bei mir offene Türen ein. Ebenso wie Sie bin ich kein Freund von Teilnahmezwängen und kann mich auch ohne Anleitung amüsieren. Auch ich ziehe ein gutes Gespräch fast allen anderen, speziell organisierten Vergnügungen vor. Mit Spieleabenden oder Kartenrunden kann man mich jagen. Insofern haben Sie mein volles persönliches Verständnis für Ihren Widerwillen.

Was aber nichts daran ändert, dass Sie sich, wie Sie es formulieren, den Wünschen der Spiele-Besessenen beugen, also mitspielen sollten. Sie können sich die Begründung dafür sogar aussuchen: bei Aristoteles oder John Donne. Bei Aristoteles ist es die berühmte Bezeichnung des Menschen als Zoon politikon, politisches Wesen, was nicht nur staatenbildend, sondern auch sozial bedeutet. Und das soziale Miteinander erfordert, dass man manchmal etwas mitmacht, von dem man selbst nicht begeistert ist. Der englische Renaissancedichter John Donne beschrieb das in seiner berühmten Meditation: No man is an island, entire of itself. Kein Mensch ist eine Insel, sich selbst genügend.

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Hier gefällt mir die Begründung von John Donne besser, weil sie plastischer ist: Sie würden anscheinend gern fest am Tisch sitzen und sich unterhalten, fast wie eine Insel im Meer des Spielens um sich herum. Aber es ist eben kein Mensch eine Insel, und wenn Ihre Freundin die Spiele entweder organisiert oder zulässt, sollte man daran auch teilnehmen. Speziell dann, wenn sie, wie bei Videobotschaften, dazu dienen, daraus eine Erinnerung für die Jubilarin zu erstellen. Zwar soll ein Fest auch unterhaltsam für die Gäste sein, aber die Feier eines runden Geburtstags dreht sich in erster Linie um das Geburtstagskind, und dem sollte man seine eigenen Wünsche unterordnen. In diesem Fall also gute Miene zum nervigen Spiel machen.

Literatur:

Das Zitat »No man is an island« stammt vom englischen Renaissancedichter John Donne, der es schaffte, in demselben Absatz seiner Meditation XVII aus dem Jahr 1624 noch eine zweite Wendung für die Nachwelt zu prägen: »For whom the bell tolls - Wem die Stunde schlägt«.

„No man is an island, entire of itself; every man is a piece of the continent, a part of the main. If a clod be washed away by the sea, Europe is the less, as well as if a promontory were, as well as if a manor of thy friend's or of thine own were. Any man's death diminishes me because I am involved in mankind; and therefore never send to know for whom the bell tolls; it tolls for thee."

Die gesamte Meditation kann man hier nachlesen:
http://www.online-literature.com/donne/409/

Die Originalversion von John Donne kann man zum Beispiel hier nachlesen:
https://web.cs.dal.ca/~johnston/poetry/island.html

»Schweig endlich still und lass mich lieben!«: Ein John-Donne-Lesebuch von Michael Mertes, Verlag Franz Schön, Bonn 2017.

Wolfgang Kullmann, Der Mensch als Politisches Lebewesen bei Aristoteles, Hermes Band 108 Heft 3 (1980), S. 419–443.

Otfried Höffe, zoon politikon / politisches Lebewesen, in: O. Höffe (Hrsg.), Aristoteles-Leixikon, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 2005, S. 620f.