Das Problem: In den Vereinigten Staaten werden jedes Jahr 1,5 Millionen Hunde und Katzen eingeschläfert, weil sie kein Zuhause finden.
Die Lösung: Hotels bieten nicht nur hundefreundliche Unterkünfte an, sondern auch Hunde, die ein Zuhause suchen.
Im Westin Mission Hills Golf Resort im kalifornischen Palm Springs begrüßt die Empfangsdame die Gäste extrem herzlich: mit einem schlabbrigen Kuss und einem Nasenstubser. Ein klarer Fall von Übereifer, aber leicht verzeihbar. Denn das Hotel ist nicht nur hundefreundlich, sondern Vierpföter wie die enthusiastische Terrier-Dame gehören dort zum Inventar. In Kooperation mit dem lokalen Tierschutzverein lässt das Haus jede Woche einen Kandidaten aus dem Tierheim, der ein Zuhause sucht, im Foyer wohnen.
Der Grund: Jedes Jahr landen 6,5 Millionen Hunde und Katzen in den Vereinigten Staaten in Tierheimen, und fast ein Viertel schafft es nicht mehr lebendig heraus. 1,5 Millionen Hunde und Katzen werden jährlich eingeschläfert, weil sie kein Zuhause finden. Das ist zwar eine knappe Million weniger als noch vor acht Jahren, die Tötungsrate sinkt, ist aber im Vergleich zu anderen Industrienationen immer noch extrem hoch.
Zum Vergleich: Auch in Deutschland sind die Tierheime überfüllt. Jedes Jahr landen etwa 75.000 Hunde und 132.000 Katzen in deutschen Tierheimen. Nur rund drei Viertel der Tiere finden innerhalb eines Jahres ein neues Zuhause. Aber selbst die schwer vermittelbaren Tiere werden nicht wegen ihres Alters, gesundheitlicher Probleme oder Platzmangel umgebracht. Im Gegenteil, das ist sogar illegal: Nur in absoluten Ausnahmefällen, wenn ein Hund unter starken Schmerzen leidet oder trotz Verhaltenstraining eine akute Gefahr darstellt, darf er von einem Tierarzt eingeschläfert werden.
In Amerika dagegen ist das Töten Alltag. Private und staatliche Rettungsorganisationen stemmen sich gegen die Flut von »weggeworfenen Haustieren«, starten Info-Kampagnen und kostenlose Kastrierungs-Kliniken. Promis wie Bradley Cooper, George Clooney und Ellen DeGeneres rufen dazu auf, Tiere statt vom Züchter aus dem Tierheim zu adoptieren. Da sitzen nämlich auch erstaunlich viele reinrassige Schäferhunde, Dobermänner und Dackel.
An der Rezeption liegt eine Liste, in die sich Gäste eintragen können, um den Hund auf einen Ausflug mitzunehmen, und gerade Kinder quengeln dann gerne so lange, bis die Eltern nachgeben
Genau deshalb kommen die Hotels ins Spiel: Viele Menschen, die gerne einen Hund hätten, trauen sich nicht ins Tierheim. Vielleicht weil sie Angst haben, dass sie dort von Mitleid angesichts der vielen traurigen Hundeaugen überwältigt werden? Aber wenn im Urlaub, wo man Zeit hat und vielleicht ohnehin mehr als sonst spazieren geht, plötzlich ein knuffiges Fellbündel mit einem »Adoptier mich«-Pulli vor einem sitzt?
Schon länger setzen Tierschützer auf Touristen. In Hawaii, zum Beispiel, werben überlebensgroße Hundefotos schon am Flughafen für das Programm der örtlichen Tierheime, sich einen Hund »für den Tag« auszuleihen und als Trekkingpartner mit in die Berge oder an den Strand zu nehmen. Die Hunde kommen dadurch für einige Stunden aus ihren Zwingern, machen einen Ausflug in die Natur, und wer weiß, vielleicht wird aus dem schnellen Urlaubsflirt ja doch der Bund fürs Leben?
Das Westin Mission Hills hat sogar einen Nachbau des Hotels als Hundehütte in die Lobby gestellt. Benny, ein drei Jahre alter Terriermischling, freut sich, dass sie nun sechs oder sieben Mal am Tag spazieren gehen darf. An der Rezeption liegt eine Liste, in die sich Gäste eintragen können, um den Hund auf einen Ausflug mitzunehmen, und gerade Kinder quengeln dann gerne so lange, bis die Eltern nachgeben. Gäste dürfen die Hunde auch mit ins Restaurant (es gibt eine eigene Speisekarte für Vierbeiner und hausgemachte Hundekekse) oder aufs Zimmer nehmen und sogar bei sich übernachten lassen. Bennys Vorgänger Ollie fand nach sechs Tagen ein Zuhause, und das ist typisch: »Im Durchschnitt dauert es nur 10 bis 14 Tage«, sagt Raquel Wood, die im Hotel für das Adoptionsprogramm verantwortlich ist und es gemeinsam mit der örtlichen Tierschutzorganisation »Animal Samaritans« managt.
Wer jetzt denkt, das sei nur ein billiger Marketing-Gag: Die Marriott-Kette ist traditionell hundefreundlich und akzeptiert vierbeinige Gäste in den meisten Filialen, aber das Adoptionsprogramm im Westin Palm Springs steht nicht einmal auf der Webseite. Eigentlich wollte der Hotelmanager vor knapp fünf Jahren nur einen freundlichen »Lobby-Hund«, wie ihn inzwischen viele Hotels haben, aber als er dann vom Adoptionsprogramm einer anderen Marriott-Filiale hörte, fand er das sinnvoller. Der Erfolg gibt ihm Recht: In den knapp fünf Jahren, seit die Hotellobby als Mini-Filiale des Tierheims fungiert, fanden 144 Hunde ein Zuhause, Benny ist Nummer 145. Nummer 9, Terriermix Bagel lebt nun übrigens bei Raquel Wood und ihrem anderen Hund Coffee. »Ich glaube, 30 Hotelangestellte haben über die Jahre selbst Hunde aus der Lobby adoptiert. Wir kümmern uns nämlich um die Tiere, und da verliebt man sich schon mal.«
Zu Woods Lieblingserinnerungen zählt der Hund, der bei über 40 Grad lebensgefährlicher Hitze in einer verschlossenen Kiste am Straßenrand ausgesetzt wurde und dann »innerhalb von 24 Stunden bei uns ein Zuhause fand.« Oder die Begegnung mit der trauernden Witwe, die gerade ihren Mann verloren hatte und eigentlich nur im Westin war, um Zimmer für die anreisenden Besucher der Beerdigung zu buchen. Genau in dem Moment, sagt Wood, habe gerade ein Gast den Hund zu einem Spaziergang abgeholt, aber der lief zur Witwe und wollte nicht mehr von ihrer Seite weichen. Drei Tage später, nach der Beerdigung, adoptierte sie ihn – »und ich bekomme immer noch Briefe von ihr, wie sehr ihr der Hund bei der Trauerbewältigung geholfen hat.«
Auch andere Hotels sind auf den Hund gekommen. Viele bieten monatliche »Yappy Hours« an, in denen Tierschutzorganisationen ihre Adoptionskandidaten im Hotelgarten vorführen dürfen. Andere Hotels werben mit ihren »Pawsitive Vibes«: Im Shady Side Inn in Pittsburgh, zum Beispiel, bekommen Gäste, die einen Hund aus dem städtischen Tierheim adoptieren, einen 250-Dollar-Gutschein. Das Westin in La Paloma, Arizona, lockt Gäste mit einem kostenlosen Upgrade, wenn sie einen Hund adoptieren. Das Inn by the Sea in Cape Elizabeth, Maine, hat immer einen Flüchtling aus dem Tierheim zu Gast und sponsort Adoptionen. Im Blisswood Bed and Breakfast in Texas kann man sich sogar einen Border Collie von der örtlichen Border Collie Rescue gleich bei der Buchung für den ganzen Aufenthalt dazu buchen. Und das Mardi Gras Casino & Resort in Florida hat sich auf Greyhounds spezialisiert, weil in der Gegend so viele Greyhoundrennen stattfinden und die anspruchsvollen Hunde dann häufig auf der Straße landen, wenn sie zu aufwändig oder alt geworden sind. (Und nein, weil das in Leserbriefen hin und wieder gefragt wird: Die Autorin ist zwar voreingenommen, weil Hundebesitzerin, aber erhält in keinem der genannten Hotels Rabatte oder sonstige Vergünstigungen.)
Bei all diesen Programmen werden die Adoptionen von den Tierschutzorganisationen genau so begleitet wie im Tierheim auch: Mit Fragebögen und Interviews wollen die Tierschützer sicherstellen, dass die Spontanaktion mehr als eine Ferienlaune ist und die Hunde wirklich ein gutes Zuhause finden.
Best Friends, eine der bekanntesten Tierschutzorganisationen Amerikas, ist nun einen Schritt weitergegangen: Statt mit einem Hotel zu kooperieren, hat sie gerade selbst ein Hotel gegründet, unweit ihres Gnadenhofs in Kanab, Utah. Das neu gebaute, erst vor wenigen Wochen eröffnete Hotel ist nicht nur hundefreundlich, sondern »hunde-zentriert«, wie die Betreiber behaupten. Das heisst: Eine Hundehütte und ein Designer Hundebett sind schon fest eingebaut, die Hunde haben ihren eigenen Spa-Bereich mit Pool und Bad. Und das Wichtigste: Man kann sich aus dem Best Friends-Tierheim probeweise Hunde ausleihen, die ein Zuhause suchen.
Natürlich kann dabei auch fürchterlich viel schiefgehen: Wie so oft bei luxuriösen Resorts steigt auch hier manchen der Fünf-Sterne-Komfort und das Verwöhnprogramm zu Kopf. Der zehnjährige Charlie beispielsweise hatte eigentlich als altersschwacher Pomeranian eher schlechte Adoptionschancen. Aber dann entdeckte ihn im Westin eine Modebloggerin, die für eine Modeschau in Palm Springs war und eigentlich gar nicht vorhatte, einen Hund zu adoptieren, und nun trägt der fluffige, sandfarbene Pom Gucci und Chanel. Durch den Trubel hält er sich jetzt für etwas Besseres: »Ich bin ein Prinz«, schreibt »PomPomCharlie« alias »Charlie Westin King« auf seinem Instagram-Account seinen knapp 2000 Fans. Er gibt inzwischen »fashion+beauty dogger« als Berufsbezeichnung an und vergleicht sich mit A-Listern: »Ich bin wie JLo, ich hatte mal ganz wenig und jetzt ganz viel.«
Was fehlt: Gleiche Rechte für Katzen. In vielen dieser Hotels sind zwar Hunde willkommen, Katzen aber werden konsequent ferngehalten. Einzig das Asbury Hotel in New Jersey hat eine Partnerschaft mit dem CatCafé. Und im Best Friends-Roadhouse gibt es zwei eigene Katzenzimmer, in die nie eine Hundepfote treten wird (damit Katzen im Urlaub nicht durch den Geruch ihrer Erzfeinde behelligt werden).