Das Problem: Vier von zehn Menschen unter 35 Jahren lesen keine Zeitung mehr und schauen keine Nachrichten.
Die Lösung: Junge Klimawissenschaftlerinnen und Aktivisten verbreiten Nachrichten und Lösungen zum Klimawandel auf anderen Wegen – zum Beispiel auf der Social-Media-Plattform TikTok.
Alaina Wood, 26, nennt sich selbst »Müll-Königin« (@thegarbagequeen), weil sie auf Wanderungen und Spaziergängen herumliegenden Müll einsammelt. Mit diesem Spitznamen ist sie ungemein erfolgreich: Auf ihrem TikTok-Account veröffentlicht die junge Umweltwissenschaftlerin für ihre 322.000 Fans Kurzvideos, in denen sie sich zum Klimawandel äußert und vor allem mit dem weit verbreiteten Klimapessimismus abrechnet. »Klar kenne ich den IPCC-Report« sagt sie. »Ich weiß, dass die Wissenschaft sagt, es stehe schlecht. Aber es wird umso schlimmer, je länger wir nicht handeln.« Entschieden wendet sie sich gegen Schwarzseherei und allzu düstere Prognosen. Gleichzeitig feiert sie Erfolge der Klimaschutzbewegung wie etwa neue Windräder in Skandinavien oder den Walschutz in Asien. Ihre Botschaft lässt sich so zusammenfassen: »Es ist schlimm, Folks, aber wir kriegen das hin.«
Wood arbeitet im Hauptberuf als Umweltplanerin im US-Bundesstaat Tennessee, aber mit ihrer Nebentätigkeit ist sie eigentlich erfolgreicher: »TikTok hat mir eine Reichweite gegeben, mit der ich nie gerechnet hätte,« sagte Wood der New York Times. Sie steht für eine neue, optimistische Klimabewegung, die auf digitalen Medien Erfolg hat und Millionen überwiegend junge Menschen erreicht. Denn die junge Generation sorgt sich mehr um das Klima als jede Generation zuvor. Bei einer Gallup-Umfrage erklärten 70 Prozent der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 34, sie machten sich Sorgen wegen der globalen Klimaerwärmung, während dies bei den über 55-Jährigen nur 56 Prozent sagen. Gleichzeitig meiden immer mehr junge Menschen die traditionellen Medien, auch deshalb, weil sie »zu negativ« seien, wie die jüngste Medienanalyse des Reuters Institute ergab.
Alex Silva, der gemeinsam mit Alaina Wood »EcoTok« gegründet hat, die wohl wichtigste Plattform für junge Klimaschützer auf TikTok, möchte mit EcoTok »diversen Gruppen von Menschen, Aktivisten, Studenten, Wissenschaftlern die Möglichkeit zu bieten, ihre Ideen zu kommunizieren.« Reichweite: inzwischen mehr als 200 Millionen Klicks. Silva und Wood konzentrieren sich auf TikTok statt auf andere Social-Media-Plattformen, weil sie dort die meisten Gleichaltrigen erreichen. »Der Algorithmus von TikTok hat meine Videos erst bekannt gemacht und mir geholfen, Aufmerksamkeit zu bekommen«, gibt Silva zu. Und Wood hat festgestellt, dass sich die Zahl ihrer Follower mehr als verdreifacht hat, seit sie ihren Fokus auf Lösungen richtet.
Junge Klimaschützer haben erkannt, dass man mit Katastrophenbildern wenig erreicht
Auch andere junge Klimaschützer haben erkannt, dass man mit Katastrophenbildern wenig erreicht. »Wir sind es leid, immer von Doom und Gloom beim Klima zu hören. Das hat wirklich nichts bewegt«, sagt etwa Kip Pastor vom Umweltkanal Pique Action, auf dem auch Alaina Wood oft zu hören ist. Statt Eisbären zu zeigen, die auf einsamen Eisschollen übers Meer treiben, dreht er lieber Kurzfilme über neue Batterien, die länger halten, oder überlässt seine Kamera und seine Plattform indigenen Filmemachern, die den Widerstand gegen die neue Öl-Pipeline vor ihrer Haustür dokumentieren.
»Wir sind das genaue Gegenteil von Doomscrolling«, findet Pastor. Er wolle erreichen, dass seine Zuschauer, statt »wütend und depressiv« zu werden, zur nächsten Grillparty gingen und sagten: »Wusstet ihr schon, dass es einen Wodka gibt, der aus CO2 hergestellt wird? Was haltet ihr von dieser Idee?« (Über diesen Wodka wurde übrigens hier in unserer Lösungskolumne auch schon berichtet.) Für diese rotzige Jetzt-erst-recht-Haltung hat Sarah Jaquette Ray, Professorin für Umweltwissenschaften an der kalifornischen Humboldt State University, den Slogan »Ok, Doomers!« erfunden – ein Wortspiel mit dem bekannteren Ausspruch »Ok, Boomer«, mit dem junge Leute Kritik aus der Babyboomer-Generation von sich abtropfen lassen.
Der Ansatz der neuen Klimakämpfer beruht auf der Einsicht, dass es, wie Pastor sagt, »viele wirklich kluge Leute gibt, die an diesem Problem arbeiten. Die wollen wir vorstellen.« Ursprünglich hatte er vor, in die Politik zu gehen, änderte aber seinen Plan, als er das Filmemachen entdeckte: »Storytelling ist der beste Weg, Ideen zu verbreiten.« Alex Silvas Motivation dürfte mit den Zielen all der genannten TikTok-Stars übereinstimmen: »Ich will meine Zuhörer daran erinnern, dass es nicht zu spät ist, etwas zu tun.«
Silvas Kollegin Arielle King begann ihren Podcast und ihren TikTok-Account in der Pandemie. »Ich fühlte mich niedergeschlagen und fing aus persönlichen Gründen damit an.« Ihr Podcast Joy Report stellt Klimalösungen in den Mittelpunkt, »mit dem erklärten Ziel, Menschen Möglichkeiten aufzuzeigen, wie man aktiv werden und sich engagieren kann.« Sie nannte ihn bewusst »Joy Report«, denn sie möchte »sicherstellen, dass wir uns auf Freude fokussieren und darauf, eine Bewegung aufzubauen«. King hat Jura und Umweltwissenschaften studiert. Dabei fiel der jungen schwarzen Frau auf, »dass mir im Studium keine einzige Person of Colour als Vorbild oder Expertin gezeigt wurde.« Deshalb achtet sie besonders »auf Dinge, wie wir von Kulturen abseits des Mainstreams lernen können, denn das sind die Stimmen, die normalerweise nicht gehört werden«.
Aus ähnlichen Gründen gründete Isaias Hernandez den Kanal QueerBrownVegan. Aufgewachsen in einer Sozialwohnung in Los Angeles, studierte Hernandez Umweltwissenschaften in Berkeley und begann dann auf eigene Faust mit einem Umweltmagazin namens Alluvia, »als Plattform für Gesinnungsgenossen und um die Terminologie der Umweltbewegung zu lernen«. Hernandez spricht bewusst aus der Perspektive eines jungen Menschen, der in Armut aufgewachsen ist, und beschreibt die Klimakrise in Begriffen, die auch für Menschen ohne Uni-Abschluss Sinn ergeben. »Ich konzentriere mich auf Umwelt-Gerechtigkeit. Ich bin davon überzeugt, dass die Klimakrise eine Bildungskrise ist und wir verschiedene Arten von Pädagogen brauchen, auch außerhalb der Institutionen.«
Auch sonst scheinen die Kanäle am erfolgreichsten zu sein, die konkrete Lösungen und Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. Caulin Donaldson, der seit 2019 auf TikTok als @trashCaulin kommuniziert, zeigt beispielsweise in seinem Feed den Strandabschnitt nahe seines Zuhauses im amerikanischen St. Petersburg, auf dem er fast täglich Müll aufsammelt. »Ich hasse es, wenn Leute sagen, ein einzelner kann nichts verändern«, sagte der 25-Jährige der New York Times. »Es muss immer einen geben, der anfängt und andere inspiriert.« Seine inzwischen mehr als 1,5 Millionen Fans sind ihm zufolge zwischen sieben und 14 Jahre alt und schicken ihm häufig Fotos und Filme von ihren eigenen Müllsammel-Aktionen.
All diese Kanäle funktionieren als Gegenentwürfe zuResignation und Tatenlosigkeit. Philip Aiken, ein 29jähriger Texaner, der am liebsten mit Cowboy-Hut auftritt, prouduziert Arielle Kings Joy Report und moderiert selbst als »Phil, the Fixer« den Podcast »just to save the world.« Er hat für seine eigene Lebensqualität eine Formel gefunden, die für ihn privat und beruflich funktioniert: Konzentriere dich 20 Prozent auf die Probleme und 80 Prozent auf Lösungen. Auch er versteht seinen Podcast ausdrücklich als Gegenmaßnahme zur »Ist-eh-schon-zu-spät«-Haltung, die er bei manchen seiner Altersgenossen beobachtet. »Es ist zu spät heisst: Ich habe mich in meinem Leben so komfortabel wie möglich eingerichtet. Ich muss nichts tun, ich trage keine Verantwortung und kann machen, was ich will.«
Dutzende TikTok Accounts und Millionen Fans widersprechen täglich und liefern überzeugende Gegenargumente. Was fehlt: mehr deutsche Stimmen.