Ich habe einen Freund und der heißt Paul. Um Paul zu sehen, bin ich zu oft Taxi gefahren, habe Elternabende geschwänzt und Briefe mit der Hand geschrieben. Ein halbes Jahr später habe ich meine Familie aufgelöst. Stolz bin ich darauf nicht. Ich finde es nicht mutig, richtig oder falsch. Die Verantwortung für eine Trennung tragen immer beide, sagen Freunde, schreiben Psychologen. Aber so fühlt es sich nicht an. Die Schuld macht mich weich, meinen Ex-Mann Jan rasend: Eure Mutter liebt einen anderen, erklärt er den Kindern, und der ist das Böse.
Monate spreche ich nicht von Paul. Ich kann ja schlecht fragen: Mädchen, wann möchtet ihr das Böse kennenlernen? Eine Woche lebe ich mit Martha und Louise, in der anderen sehe ich meinen Freund. Ein seltsam schizophrenes Leben. Ich möchte alle vereinen und weiß, es ist nur mein Wunsch. Mir fallen die Worte einer geschiedenen Mutter ein, die sagte: »Mein Liebhaber? Der ist privat. Den werden meine Kinder nicht kennenlernen!« Manchmal stehe ich an Ampeln und stelle mir vor, ich würde alles rückgängig machen, meine Schritte umlenken, da drüben in die U-Bahn steigen und zu unserer alten Wohnung fahren, klingeln, stumm umarmen. Meine Kinder würden Paul nie kennenlernen, die dunklen Monate blieben hinter uns wie ein Spuk. Ob die Kinder sich das erträumen?
Fünf Monate nach meinem Auszug hole ich sie bei meinem Ex-Mann ab. Ich war am See, sage ich. Wir sitzen im Auto, Martha und Louise schweigen. Ich war am See und hätte euch gerne dabei gehabt, wiederhole ich, Paul hat ein Boot. Sein Name wie ein Testballon, den sie zerschießen: Ach Mama, du mit deinem Paul. Schweigen. Ich werde ungeduldig. Ich verstehe, dass sie keine Lust haben, mein Glück zu teilen. Wenn wir einander gar nichts mehr erzählen, sage ich, dann wird uns fad werden. Wir werden uns verlieren, denke ich, aber das sage ich nicht. Martha macht das Radio an.
Die Voraussetzungen für eine Freundschaft zwischen Paul und meinen Töchtern sind miserabel, doch es scheint mir unmöglich, dass jemand, der mir nahe steht, meinen Kindern fremd bleiben könnte. Also warte ich. Auf was, erkenne ich erst, als es passiert: Ich warte, bis Jan sich in Anna verliebt und mit ihr zusammenzieht, mit zweimal zwei Kindern. Plötzlich fragen die Mädchen nach Paul. Sie versuchen, das Leben ihrer Eltern zu sortieren wie das ihrer Puppen: Mama, Papa, Kind. Ihr Vater hat jetzt Anna, und ich habe - wo ist der eigentlich?
An einem Abend, an dem Deutschland gegen Frankreich Fußball spielt und wir zwischen Nachbarn auf Bierbänken im Hof sitzen, reicht Paul den Kindern zum ersten Mal die Hand. Er sagt seinen Namen. Er setzt sich auf eine Bank neben mich. Er schaut zu den Kindern. Die Kinder schauen zu ihm. Niemand schaut mehr Fußball, aber alle kommentieren ihn. Möglichst lustig. Und laut. Langsam rutscht Louise auf meinen Schoß, so kann sie Paul aus der Nähe betrachten. Bald sitze ich zwischen meinen Kindern. Nach der zweiten Halbzeit sitze ich am Rand und beobachte drei alberne Menschen, die erleichtert feststellen, dass keiner von ihnen böse ist.
Illustration: Grace Helmer