Mit diesem Rezept meistern wir drei sehr aktuelle Herausforderungen und kochen gleichzeitig ein fantastisches Essen.
Herausforderung Nummer 1: Die Reste vom Sauerteigstarter sinnvoll verwenden. Sauerteigbäcker und -bäckerinnen sind Sklaven ihres Teiges. Der hat ganz bestimmte Fütterungswünsche, besteht auf strikter Einhaltung fester Zeitpläne und fühlt sich nur bei einer ganz bestimmten Temperatur wirklich kuschelig wohl. Das führt zu Konflikten zwischen der Bäckerin oder dem Bäcker und anderen Mitgliedern der eigenen Spezies, vor allem weil der Zeitplan des Teiges immer Vorrang hat vor allen anderen Terminen.
Ein echtes Problem sind jedoch die Reste vom Sauerteigstarter. Denn die Kolonien der Mikroorganismen im Teig vermehren sich exponentiell. Wenn man sie ihrem Appetit gemäß einfach immer weiter füttern würde, füllte der Teig nach wenigen Tagen den Petersdom. Das wäre nicht hübsch, deshalb füttert man jedes Mal nur jeweils etwa 5 Gramm vom Teig – knapp die zehnfache Menge bleibt übrig, zweimal täglich. Kann man einfrieren, aber irgendwann muss man diese Reste verbrauchen oder entsorgen. Es gibt viele Verwendungsvorschläge dafür, doch bei den meisten Rezepten kommt zum Sauerteigrest – also Wasser, Mehl und Mikroben – erstmal noch Ei, Butter, Milch, Zucker hinzu, um dann zum Beispiel Waffeln daraus zu backen. Die schmecken sicher gut, aber Ei, Butter, Milch und Zucker schmecken immer gut. So ähnlich wie die Mischung aus Parmesan, Olivenöl und Pinienkernen im Radieschenblätterpesto immer gut schmeckt – auch ohne Radieschenblätter. Das ist kein Upcycling und auch keine Zero-Waste-Kultur, sondern Augenwischerei.
Als ich kürzlich mal wieder auf das Brot im Ofen wartete, las ich in der New York Times über »Jeon«, koreanische Gemüsepfannkuchen – viel Gemüse, wenig Teig, sehr saftig. Aus Vietnam kenne ich »Banh Xeo«, diese Reismehl-Pfannkuchen gehen in eine ähnliche Richtung. Dabei hatte ich einen Geistesblitz: Sauerteigstarter-Gemüsepfannkuchen mit nichts als Gemüse und Sauerteigresten, die müssten doch knusprig werden, ähnlich wie beim Ausbackteig für Fritto Misto, nur mit viel weniger Fett.
Außerdem – Herausforderung Nummer 2 – kann jegliches Gemüse, das im Gemüsefach vor sich hin trocknet, mit in den Pfannkuchen. Der Teig funktioniert mit jedem Mehl, aber wenn ein Teil des Mehls eher gröber ist, zum Beispiel Roggenschrot, dann werden die Pfannkuchen besonders knusprig.
Die dritte Herausforderung hat mit den ersten beiden nichts zu tun, ist aber trotzdem wichtig: Eigelb geschickt ersetzen, wo immer es geht. Das ist schwieriger, als es sich anhört. Doch jedes Ei, das nicht gelegt werden muss, vermindert unseren CO2-Ausstoß. Mayonnaise zum Beispiel ist eine Emulsion aus Wasser, Öl und Geschmack. Damit sich die drei verbinden, braucht es einen Emulgator. In der klassischen französischen Küche war das das Lecithin aus Eigelben. Sojabohnen enthalten ebenfalls Lecithin, man kann zum Beispiel ganz hervorragende Hollandaise-Saucen mit Sojasahne emulgieren. Aber Sojasahne (die man eigentlich nicht Sojasahne nennen darf, weil sie keine Kuhmilch enthält) ist ein hochverarbeitetes Industrieprodukt – wäre es nicht schön, so eine Mayonnaise mit natürlich fermentierten Sojabohnen zu binden? Miso nämlich. Klappt hervorragend und gibt einen Spitzendip, nicht nur für diese Pfannkuchen. Vielleicht machen Millionen Koreaner oder Japaner seit Jahrhunderten Miso-Mayo. Ich habe es nicht recherchiert – aber das spielt auch keine Rolle, das Gefühl, selber so eine schöne Entdeckung zu machen, ist großartig.
Crunchy Sauerteig-Gemüse-Pfannkuchen mit Miso-Mayo
Zutaten:
- ca. 600 g Gemüse (z.B. Frühlingszwiebel, Rosenkohl, Karotten, junge Artischocken) Rosenkohl, Frühlingszwiebel, Karotte, Artischocke
- Salz
- 100 g Kim Chi oder Sauerkraut Kimchi, Sauerkraut
- ca. 200 g Reste vom Sauerteigstarter oder Sauerteig (oder ca. 50 g Weizenmehl, 50 g Roggenvollkornmehl, 80 ml Wasser, 2 EL Essig) Sauerteig, Mehl, Essig
- Öl o.ä. zum Ausbacken der Pfannkuchen Öl
- 1 Handvoll Salatblätter, zum Beispiel von einem Romanasalat Salat
- Miso-Mayo
- 2 EL Miso, zum Beispiel koreanische Denjang-Misopaste Miso
- 2 EL Sojasauce
- 3 EL Limettensaft
- 1 EL Ahornsirup
- 1 EL Sesamöl
- 100 ml Rapsöl oder ein anderes nussiges Pflanzenöl Rapsöl, Pflanzenöl
Gemüse vorbereiten: Frühlingszwiebeln putzen, dabei Wurzeln und welke Blätter entfernen, den Rest in Ringe schneiden – eine Zwiebel ganz fein schneiden und für den Dip aufheben. Rosenkohlstrünke abschneiden, die Blättchen einzeln abziehen. Sobald das in der Mitte der kleinen Kohlköpfchen mühsamer wird, den Rest einfach in Scheiben schneiden. Karotten waschen, nach Belieben schälen oder auch nicht, grob raspeln. Alle zähen, äußeren Blätter von der Artischocke abbrechen. Den Stiel auf etwa fünf Zentimeter kürzen, mit einem kleinen Messer schälen. Die obere Hälfte oder sogar drei Fünftel der Knospe abschneiden. Längs halbieren – falls im Inneren der Artischocke die faserigen Röhrenblüten schon deutlich zu sehen sind, einfach mit einem Teelöffel herauskratzen. Bei ganz jungen Artischocken ist das aber oft gar nicht nötig. Artischocken mit einem scharfen Messer in dünne Scheiben schneiden. Das Gemüse salzen, sanft kneten. Salat waschen, trockenschleudern und in handtellergroße Stücke reißen.
Kim Chi oder Sauerkraut ein paarmal durchschneiden – einen Löffel davon für den Dip aufheben. Den Rest mit dem Sauerteig zum Gemüse geben, gut mischen.
Für die Miso-Mayo Miso, Sojasauce, Limettensaft, restliches Kim Chi (oder Sauerkraut) und Ahornsirup in einen Mixbecher geben, mit dem Pürierstab mischen. Dabei das Öl nach und nach einlaufen lassen, bis die Creme so dick wird wie eine klassische Mayonnaise. Mit wenig Salz und mehr Pfeffer abschmecken, die feingeschnittene Frühlingszwiebel untermischen.
Pfannkuchen backen: 3-4 EL Öl in einer Pfanne, die nicht klebt, erhitzen, mit einem Esslöffel 8 handtellergroße Pfannkuchen in die Pfanne setzen, leicht flach drücken, so dass die Pfannkuchen etwa 1 cm dick sind. Von beiden Seiten insgesamt 8-10 Min. goldbraun und knusprig backen. Mit einem Salatblatt jeweils ein Stück Pfannkuchen nehmen und in den Dip tunken.