Die Koffer-Barrikade

Vollgestellte Gänge, blockierte Sitze: Manchmal ist einfach zu viel Gepäck im Zug. Dabei müsste ein kaum bekannter Passus aus den Beförderungsbedingungen das eigentlich verhindern.

Illustration: Nishant Choksi

Die Beförderungsbedingungen der Deutschen Bahn verbieten, Gegenstände mitzunehmen, die Mitreisende stören oder verletzten könnten – oft sind es aber nicht die mitgeführten Dinge, die nerven oder gefährlich sind, sondern die Art, wie sie verstaut werden. Neulich, in einem ICE zwischen Karlsruhe und Mannheim, segelte ein Regenschirm mit Metallspitze aus der oberen Gepäckablage auf meinen Kopf, zum Glück nicht mit der Spitze voran. Nichts passiert, ich habe gelächelt, als ich den Besitzer bat, den Schirm nächstens bitte besser zu verstauen. Wäre die Spitze allerdings im Auge meiner Tochter gelandet, wäre ich nicht so ruhig geblieben.

Es muss nicht immer gleich Leib und Leben gefährdet sein, aber viele Passagiere lassen generell Rücksicht vermissen, wenn sie ihr Gepäck unterbringen. Der große Rollkoffer, der nicht richtig verstaut ist, ist dabei das größte Ärgernis. Neulich sah ich einen, der so groß war, dass er nicht mal durch den Gang passte – da muss man wohl sagen: Dieses Gepäckstück ist nicht fürs Bahnfahren geeignet. Ein anderes Mal rollte ein im Gang ungesichert abgestellter Koffer durch den halben Waggon – der Besitzer war nicht auffindbar, ich musste den fremden Koffer in das Abteil ziehen, in dem ich saß, damit andere Passagiere überhaupt vorbei kamen. Anscheinend ist es für manche Menschen überraschend, dass ihr Rollkoffer rollt (auf die Seite legen hilft übrigens). Manchmal sieht man auch Menschen mit gleich mehreren Rollkoffern, dabei ist laut Beförderungsbedingungen neben dem Handgepäck nur ein Stück »Traglast« pro Person erlaubt. Wie beim Fliegen also, nur dass bei der Bahn niemand kontrolliert.

In nahezu jedem Waggon findet man Passagiere, die ihren Rollkoffer so vor ihren Nachbarsitz klemmen, dass dort niemand mehr sitzen kann

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Oft gibt es nicht genügend Platz für das ganze Gepäck, vor allem in Regionalzügen. Wenn diese wichtige Zubringer für den Fernverkehr oder Flughäfen sind, führt das schnell zu Problemen. In manchen Waggons sind die obere Gepäckablagen so beeingt, dass beim besten Willen kein Koffer hineinpasst. Allerdings gibt es dort oft große Bereiche mit Bedarfssitzen, die hochgeklappt sind, wenn niemand darauf sitzt. Dort kann man Koffer auf dem Boden abstellen. Neulich habe ich fotografiert, wie in so einem Waggon zwei Klappsitze komplett mit Rollkoffern belegt waren – nur Zentimeter neben einer großen Freifläche, auf der Platz für mindestens 20 Koffer gewesen wäre. Ein anderes Mal sah ich, wie ein Ehepaar sich auf einer Vierer-Sitzgruppe um einen Tisch setzte – und weitere vier Sitze mit ihren Koffern und Taschen belegte, statt diese in den vorgesehenen Bereichen zu platzieren.

Das sind Extremfälle, aber in nahezu jedem Waggon findet man Passagiere, die ihren Rollkoffer so vor ihren Nachbarsitz klemmen, dass dort niemand mehr sitzen kann. Ich staune immer wieder, dass die meisten der Menschen, die ihr Gepäck so verstauen, auch völlig gleichgültig bleiben, wenn der Zug immer voller wird. Nicht mal, wenn schon andere Passagiere im Gang stehen, machen sie von sich aus den vom Koffer blockierten Platz frei.

Zum Glück hat man hier als Platz-suchender Fahrgast die Beförderungsbedingungen auf seiner Seite – und die Zugbegleiter, die mittlerweile manchmal sogar Durchsagen machen, dass die Sitze von Gepäck geräumt werden sollen. Meist reicht jedoch ein Satz wie: »Ich würde mich gerne dort hinsetzen, geht das bitte?« Eine gute Möglichkeit, für freie Sitzplätze zu sorgen, ist auch, dass man anbietet, den Koffer hoch und wieder runter zu wuchten. Denn manche Fahrgäste sind körperlich nicht in der Lage, schweres Gepäck über ihrem Kopf herum zu bugsieren. Angenehmer Nebeneffekt für Helferinnen und Helfer: So bekommen sie auf Bahnfahrten auch ein bisschen Bewegung.