Die Gewissensfrage

»Ich schnarche ­ sagt man. Im täglichen Leben ist das für mich kein Problem, aber auf meinen Wochenendtrips schon. Für gewöhnlich miete ich mich in Jugendherbergen ein, die häufig über Mehrbettzimmer verfügen. Einerseits denke ich, jeder muss mit einem Schnarcher im Zimmer rechnen, wenn er in Mehrbettzimmern übernachtet. Andererseits bekomme ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich meinen Mitmenschen ihre Nachtruhe raube. Wie kann ich mich von diesem Dilemma befreien?«Jennifer W., Lüneburg

Was erwarten Menschen, die sich in einem Mehrbettzimmer einmieten? Wenn sie klug sind, andere Menschen mit allen ihren Eigenheiten, einschließlich des Schnarchens; denn es kommt, Studien zufolge, bei zehn bis sechzig Prozent aller Menschen vor, je nach Alter. Also tun die Mitschläfer nicht nur gut daran, mit Schnarchern zu rechnen, sie haben, als sie diese Form der Übernachtung wählten, in gewissem Sinne sogar zugestimmt, mit den natürlichen Geräuschen ihrer Mitmenschen konfrontiert zu werden. Insofern wäre alles in Ordnung.

Ein erstes kleines Zögern entsteht allerdings ob des Zusammentreffens der Begriffe »je nach Alter« und »Jugendherberge«. Tatsächlich belegen Untersuchungen, dass weniger als zehn Prozent der unter Zwanzigjährigen schnarchen, aber mehr als die Hälfte aller über Sechzigjährigen. Womöglich funktioniert das Konzept der Mehrbettzimmer in Jugendherbergen nur wegen des geringen Schnarcheranteils in der Zielgruppe. Andererseits darf die Frage, was man akzeptieren muss, nicht von der Häufigkeit abhängen; derartige Gedanken führen schnell zur Ausgrenzung von Minderheiten – oder hier: Älteren. Wenn ich Ihnen am Ende dennoch dazu rate, möglichst ein Einzelzimmer zu buchen, dann wegen etwas, was mir sehr am Herzen liegt: Rücksichtnahme. Ich verstehe darunter eine Tugend, die das Zusammenleben entscheidend verbessern kann: sich einen Schritt weiter zurückzunehmen, als es die Rechte der anderen zwingend erfordern. In der Tat mag in der Grundidee des Mehrbettzimmers enthalten sein, dass auch Schnarcher darin übernachten. Rücksichtsvoll ist es hingegen, auf sein Recht, dort zu nächtigen, zu verzichten, wenn man sicher weiß, dass man dabei Wälder niedersägen wird: Sonst erkauft man sich die eigene Nachtruhe mit der Schlaflosigkeit seiner Umgebung.

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Illustration: Marc Herold