Der Abschied vom Männerschal

Slim-Fit-Hemden, Rollkragen und ein Pierce-Brosnan-Moment im Regen: Auch Joachim Löws Kleiderwahl wird am Spielfeldrand fehlen, findet unsere Stilkolumnistin.  Sein modisches Vermächtnis in fünf Bildern.

Im Sommer 2021 legen mit Angela Merkel und Jogi Löw gleich zwei stilprägende Modeikonen ihr Amt nieder, bedauert unsere Stilkolumnistin.

Fotos: Getty Images.

Wie der DFB gestern mitteilte, wird Joachim Löw sein Amt als Bundestrainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft nach der kommenden Europameisterschaft niederlegen. Damit verliert das Land im Sommer 2021 nicht nur gleich zwei seiner ausdauerndsten und beliebtesten Führungskräfte, sondern auch zwei stilprägende Modeikonen (zumindest deren mediale Präsenz) – doch über Angela Merkels modische Verdienste sei an anderer Stelle geschrieben.

Jogi Löw hat mit seiner körperbetonten und eleganten Kleiderwahl in den letzten 15 Jahren viel dazu beigetragen, dass in Fußball-Deutschland etwas Eitelkeit, Körperpflege und modisches Interesse nichts mehr mit schwächelnder Männlichkeit zu tun haben. Wir widmen wir uns fünf der wichtigsten stilistischen Vermächtnisse des Mannes, der mehr für den Aufstieg und Fortbestand des Slim-Fit-Hemdes, Männerschals und schwarzen Rollkragenpullovers getan hat, als Steve Jobs und alle BWL-Studenten Bayerns zusammen.

Das Slim-Fit-Hemd

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Die modische Wende auf der deutschen Nationaltrainerbank startete mit Jürgen Klinsmann. Dieser wusste schon aus seiner Zeit in den USA, wie wichtig professionelles Auftreten, Markenbildung und Sponsorenverträge heute im Sport sind. Und machte statt Trainingsanzügen abgestimmte Business-Looks mit Co-Trainer Jogi Löw zum neuen Standard am Spielfeldrand. Als Löw 2006 das Ruder übernahm, perfektionierte er diesen Standard mit Hansi Flick an seiner Seite. Das vom Ausstatter Strenesse eigens für Löw entworfene taillierte Baumwollhemd mit Stretchanteil und abgesteppten Frontnähten wurde zum offiziellen »Glückshemd« während der EM 2008. Und war als Stangenvariante auch bundesweit (mit Warteliste) ausverkauft. Der Begriff »Slim Fit«, vorher von vielen für einen Diät-Drink gehalten, gehört seitdem zum deutschen Wortschatz.

Wird getragen von: Dem doppelten Lottchen, Performance-optimierten Konzernmanagern, BWL- und Tourismusmanagement-Studenten, Großraumdisko-Besuchern in ländlichen Gebieten.

Der Topfschnitt

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Während »Fußballerfrisuren« eigentlich so etwas wie eine eigene, sehr schnelllebige und von großer Fantasie und Experimentierfreude gekennzeichnete Gattung sind, trägt Joachim Löw seit Anbeginn denselben lieben Topfschnitt. Mit seinem vollen, dicken Haarwuchs wurde Löw auch schon als Shampoo-Werbeträger von Nivea verpflichtet. Nur einmal legte die Schulkinder-Frisur ihre Unschuld ab: Als Löw sich 2014 mit halboffenem Hemd im Regen stehend beim WM-Spiel der deutschen Nationalmannschaft durch die pitschnassen Haare fuhr, sorgte das für Entzücken unter seinen schmachtenden Fans und für einige Pierce-Brosnan-Vergleiche auf Twitter.

Wird auch getragen von: Den Beatles, Charlize Theron

Der Rollkragen-Pulli

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Feinstrick zählt zweifelsohne zu den liebsten Bekleidungsschichten des Bundestrainers. Während zur Fußball-WM 2010 in Südafrika der strahlend blaue Kaschmir-Pulli mit V-Ausschnitt zum geflügelten Trainer-Look wurde (und wieder einmal bei Strenesse zum Verkaufsschlager, kaum zu glauben, dass das Unternehmen wenige Jahre später Insolvenz anmeldete), zeigte sich Löw in jüngeren Jahren am liebsten im schwarzen Rollkragenpullover. Damit wirkt man am Spielfeldrand wie ein verirrtes Kreativ-Genie und auf dem roten Teppich wie ein tiefenentspannter Mann von Welt. Lässig.

Wird auch getragen von: Steve Jobs, Andy Warhol, Bob Dylan, Audrey Hepburn

Der gebundene Schal

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Niemand war in den vergangenen Jahren ein aktiverer Botschafter des Männerschals, als Löw. »Deutschlands Joachim Löw ist ein Kenner von feingewebter Strickware und weiß, wie man einen Schal bindet«, war eine der Begründungen, mit denen die britische Zeitung The Guardian Löw 2010 auf ihre »Best dressed«-Liste erhob – neben Namen wie Naomi Campbell, Rihanna, den Beckhams oder Prinz Charles. Tatsächlich könnte man bei seiner Frequenz an Auftritten mit Schal (oder Rollkragen) meinen, Löw sei anfällig für einen kratzigen Hals, für wahrscheinlicher halten wir aber das Style-Argument. Auch zur Bambi-Verleihung erschien er zum eleganten Komplettlook in Schwarz schon mit dickem grauen Wollschal – natürlich nicht gewickelt, sondern gebunden. Kleiner Löwscher Styling-Hack am Rande: Ist gerade mal kein Schal zur Hand, legt er sich wie ein echt Sylter den Strickpulli aus Kategorie drei um die fröstelnde Hals- und Schulterpartie.

Wird auch getragen von: George Clooney

Die natürliche Körperreaktion

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Beim EM-Spiel 2016 gegen die Ukraine zeigte sich Löw ungewohnt informell und trug statt Maßanzug ein graues T-Shirt (Co-Trainer Thomas Schneider ebenso). Beim 1:0 für Deutschland riss der Bundestrainer die Arme hoch, und siehe da: Es zeigten sich Schweißflecken. Warum das seinerzeit einen Aufreger wert war (»Dabei macht er doch Werbung für Kosmetik!«, »Dabei ist das so ein teures Shirt!«), ist bis heute schwer verständlich. Es war ein Sommerabend in Frankreich, und dass so ein internationales Turnierspiel keine nervenberuhigende Angelegenheit ist, liegt auf der Hand. Wir finden: Kein Scham für natürliche Körperreaktionen in der Öffentlichkeit. (Das graue Boss-T-Shirt aus merzerisierter Baumwolle war anschließend trotzdem ausverkauft, klar.)

Wird auch getragen von: Mark Zuckerberg