»Meine Tante fragte mich, was sie mir zu meinem Geburtstag schenken dürfe. Ich antwortete, dass ich doch alles Wichtige im Leben besitze und sie das Geld lieber für einen guten Zweck spenden solle. Meine Tante fand meine Antwort arrogant und überheblich. Ich bekam Geld mit dem Hinweis, dass jeder seine guten Taten selber vornehmen solle. Habe ich falsch gehandelt?« Julia C., München
Der Vorwurf scheint eigenartig, den Ihre Tante da erhebt: dass Sie durch Bescheidenheit arrogant und überheblich wirken. Und dennoch ist er nicht ganz von der Hand zu weisen.
In Ihrer sicher gut gemeinten Antwort stecken nämlich ein paar Fallstricke: Zum einen weisen Sie das Geschenk Ihrer Tante zurück und damit deren Wunsch, Ihnen etwas Gutes zu tun und ihre Zuneigung zu zeigen. Zum anderen demonstrieren Sie Ihre gute Einstellung, und auch das kann man hier kritisch sehen. Zwar vertrete ich nicht die Auffassung, dass man es verstecken muss, wenn man etwas Gutes tut, damit es wirklich gut ist, hier aber hat es eine weitere Implikation: Neben Ihrem Wunsch, das Geld solle nicht Ihnen, sondern einem guten Zweck zukommen, sieht der Wunsch Ihrer Tante, Ihnen etwas Gutes zu tun, plötzlich schlecht aus. Sie will ihre Nichte beschenken und muss sich sagen lassen, dass das nicht wirklich gut ist, weil die schon alles hat und es besser wäre, an die zu denken, die zu wenig haben. Dadurch verweisen Sie Ihre Tante im Schönheitswettbewerb des Gebens von der Poleposition auf die hinteren Ränge.
Es steht somit einerseits Ihr Wunsch im Raum, zugunsten Bedürftigerer Verzicht zu üben, und damit das Gebot, anderen zu helfen; andererseits der Wunsch Ihrer Tante, Ihnen etwas Gutes zu tun, und das Gebot, sie nicht zu brüskieren. Beide Seiten haben Gewicht, und stünden sie sich unversöhnlich gegenüber, würde es schwierig. Dem ist aber nicht so. Wenn Sie wirklich keinen Wunsch haben und Verzicht üben wollen, können Sie Ihrer Tante etwas nennen, was Sie für Ihr Leben benötigen, und dann das entsprechend gesparte Geld spenden. Ihre Tante hat vermutlich nicht an so etwas wie neue Socken gedacht, als sie Ihnen eine Freude machen wollte, aber vielleicht fällt Ihnen Ihrer Tante zuliebe ja noch etwas Netteres ein.
Hinweise:
Tue Gutes und rede nicht darüber
Die Idee, man solle es nicht zeigen, wenn man Gutes tut – „Tue Gutes und rede nicht darüber“ – geht vor allem auf die Bergpredigt im Matthäusevangelium zurück (dort Kapitel 6, Vers 1-4):
Vom Almosen: 6,1-4
Hütet euch, eure Gerechtigkeit vor den Menschen zur Schau zu stellen; sonst habt ihr keinen Lohn von eurem Vater im Himmel zu erwarten. Wenn du Almosen gibst, lass es also nicht vor dir herposaunen, wie es die Heuchler in den Synagogen und auf den Gassen tun, um von den Leuten gelobt zu werden. Amen, das sage ich euch: Sie haben ihren Lohn bereits erhalten. Wenn du Almosen gibst, soll deine linke Hand nicht wissen, was deine rechte tut. Dein Almosen soll verborgen bleiben und dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten.
Tue Gutes und rede darüber
Aus evolutionsbiologischer Sicht kann man hingegen zum gegenteiligen Prinzip gelangen: „Tue Gutes und rede darüber“. So überschreibt zum Beispiel der Soziobiologe und Philsoph Eckart Voland ein Kapitel in seinem lesenswerten Buch Die Natur des Menschen. Grundkurs Soziobioloige, Verlag C.H. Beck, München, 2007 (leider nur mehr antiquarisch erhältlich).
Kurz gefasst besagt die These, dass das Öffentliche Zeigen von Großzügigkeit die genetische Fitness erhöht, weil es signalisiert, dass man es sich leisten kann, abzugeben und deshalb ein attraktiver Sexualpartner ist, der so viel hat, dass er die gemeinsamen Kinder versorgen kann und zudem die Fähigkeiten aufweist und weitervererben kann, so viel zu erwirtschaften.
Siehe auch:
James Boone, The evolution of magnanimity. When is it better to give than to receive? Human Nature, Volume 9, Issue 1, pp 1-21
Daneben hat das öffentliche Zeigen von Großzügigkeit den Vorteil der Vorbildfunktion, die andere dazu bewegen kann, sich ebenso zu verhalten, sei es aus Überzeugung, sei es wegen sozialen Drucks, und so zu einer Verbreitung der Spenden- und Hilfskultur führen kann.
Illustration: Serge Bloch